„Entstanden im 16. / 17. Jahrhundert in den altwelfischen Landen Niedersachsens, bes. Wolfenbüttel als Nachfahren der mittelalterlichen Urbare und als Vorfahre der heutigen Grundbücher.
Auf Anordnung der landesherrlichen Verwaltung beschrieben die Ämter die ländlichen Rechts- und Besitzverhältnisse ihres Bereichs und die einzelnen Höfe: Inhaber, zugehörige Äcker, Wiesen und Gärten und deren Belastungen. Ausgenommen waren die selbstgenutzten adligen Güter.“
Quelle: Hans Georg Röhrbein, Quellenbegriffe des 16. – 19. Jahrhundert
Vorbemerkungen zum Lagerbuch Gehrden
Bei der Neuordnung des Archivs der Stadt Gehrden entdeckten die Mitarbeiter der Archivgruppe des Heimatbundes Gehrden 2016 im Stadtmuseum das „Lagerbuch Gehrden – angefangen 1713“ in einer Vitrine wieder. Bereits August Kageler hatte in seinem Buch „Gehrden – Entwicklung und Schicksale einer Calenbergischen Kleinstadt“ (1950) hieraus zitiert, aber es fehlte noch eine Transkription hiervon, um es der heimatkundlichen und wissenschaftlichen Forschung zugänglich zu machen.
Das Lagerbuch - auch Erbzinsregister, Erbregister, Salbuch oder Hausbuch genannt – beschreibt die Rechts- und Besitzverhältnisse des Fleckens Gehrden und benennt die Lage der Höfe und Häuser nebst dazugehörigen Gärten und Wiesen sowie den Stand der Haus- und Hofwirte innerhalb der Einwohnerschaft Gehrdens (z.B.: Meier, Brauer; Handwerker).
In den einleitenden Worten des Lagerbuches wird angeführt, dass das Buch erstellt werden solle, „weil nun bey angetretener Regierung dieses Flecken Zustand gar schlecht gefunden, indem weder von dessen Immunitäten, Gerechtigkeiten und Privilegien noch gräntzen der Trift und Weide wegen wenig Nachricht finden“. Bei M. Grohmann „Gehrden – Aspekte der Ortsgeschichte“, (1994), S. 21 ff finden sich nähere Angaben zu den Umständen, die zum Verständnis des Lagerbuches hilfreich sind. Offenbar gab es damals erhebliche Misswirtschaft sowie Verschwendung bei der Amtsführung im Flecken Gehrden (M. Grohmann, S. 37). Der Gehrdener Bürger und Vollmeier Johann Friedrich Haverkamp (*1675; +~1.10.1714) prangerte dies 1713 beim Amt an, worauf der Bürgermeister Möhring abgesetzt und Johann Friedrich Haverkampf selber zum Bürgermeister „begnadigt“, d.h. vom Amt eingesetzt wurde (M. Grohmann, S.21). Der exakte Titel war allerdings „Consul p.t.“, was eventuell eine Sonderstellung war. Auch sein Nachfolger Thomas Friderici ( *ca.1681; +1716) führte diese Bezeichnung im Jahr 1715 nach dem Ableben von Haverkamp 1714. Eine Einsetzung durch das Amt, ohne Wahl durch die Bürgerschaft auf der „Echteding“ Versammlung, könnte damals als Verletzung der Rechte zur Selbstverwaltung des Fleckens empfunden worden sein. Der vormalige Bürgermeister Möhring hat vergeblich gegen seine Absetzung protestiert. Der Magistrat des Fleckens aus Bürgermeister, Kämmerer und zuletzt 12 Ratsherren wurde fortan auf 3 Mitglieder beschränkt (M. Grohmann, S.21).
Eventuell muß auch Haverkamps bereits im Jahr 1713 erfolgte Beschaffung der Bürgerschaft für den Hannoverschen Schreib- und Rechenmeister Thomaß Friderici in diesem Umfeld betrachtet werden: Die extrem kleine Hausstelle von 46 x 46 Fuß (ca.13,4 x 13,4 m) auf dem Grund- und Boden von Haverkamps zweitem Haus (wiedererstellt 1703-1706) befand sich gut sichtbar und vielleicht sogar demonstrativ im Herzen Gehrdens an der Kirche. Fernab wurde ein ebenso kleiner Wiesenteil und etwas Gartenland besorgt. Diese sehr kleine Haus- und Bürgerstelle ist in Gehrden eine einmalige Besonderheit! - Die Nachfolge Fridericis als Bürgermeister (genauer Titel: „Consul p.t.“) nach Haverkamps frühen Tod 1714 mit nur 39 Jahren sowie ein fehlender Eintrag im Lagerbuch zur Berufung Fridericis als „Bürgermeister“ im „Echteding“ stützen die Annahme, dass auch Friderici vom Amt entsandt sein könnte. Wie Haverkamp verstarb auch Friderici früh und in besten Lebensjahren bereits mit ca 35 Jahren und ebenfalls nach nur rund einem Jahr in seinem Amt.
Weitere Hinweise auf die Turbulenz dieser Zeit für Gehrden finden sich im Schriftbild des Lagerbuchs bei der Beschreibung von Haverkamps zweiter Hausstelle. Die Zeilen des Schreibers (Haverkamp?) verlaufen nicht mehr gerade, wie in den anderen Seiten. Teile der Beschreibung wurden auch - offenbar später! - unkenntlich gemacht.
Das Lagerbuch umfaßt den Zeitraum von 1713 bis 1852 und kann in drei Abschnitte unterteilt werden. Das Buch wurde vermutlich überwiegend eigenhändig vom jeweiligen Bürgermeister geführt.
Im ersten Abschnitt werden alle Haus- und Hofstellen nebst Namen, Lage, Rechtstellung, Besitz, Abgaben und Lehensherren aufgelistet. Zusammenfassend heißt es im Lagerbuch S. 54 dazu: „Dies sind also die Nahmen der jetzigen Einwohner hiesigen Fleckens, wie der Stellen und Häußer aufeinander folgen“. Bei den Angaben zu den Pfortstellen – dies waren Stellen für Anbauer - wird Bezug genommen auf ein altes Ratsbuch, das 1639 angefangen wurde und als verschollen gilt. Die erste Aufstellung des Lagerbuches erfolgte 1713 und wurde in späteren Jahren ca. 1730 und 1770 überarbeitet. Die vor den Haus- und Hofstellen aufgeführten Nummern sind nicht in aufsteigender Reihenfolge und mit Bleistift eingetragen. Beides deutet auf eine nachträgliche Einfügung hin, eventuell durch A. Kageler, der solche Eintragungen auch in anderen Dokumenten immer wieder eingeführt hat. Die Aufstellungen von 1713 bis 1770 für den ersten Abschnitt enden mit einer Zusammenstellung der Einnahmen des Fleckens Gehrden aus deren Besitztümern im Jahr 1770 sowie der „voritzigen jährl. Einkünfte“, offenbar von ca. 1712/13. Solche Aufstellungen finden sich später in gleicher Ordnung im ersten „Cammerey Register von Gehrden 1732“ (Stadt Archiv Gehrden) wieder, so dass hier ggf. der Grundstein für das spätere ausführlichere Register mit Ein- und Ausgaben gelegt wurde. Um die Lesbarkeit der teilweise chaotischen Einträge in diesem Abschnitt zu verbessern, wurden Nachträge zu den Originaleinträgen von 1713 in kleinerer Schrift (und in anderer Farbe) wiedergegeben.
Inhaltlich wird der erste Abschnitt auf den letzten beiden Seiten des Buches für die Jahre 1836 bis 1846 fortgeführt. Über Kopf gedreht und beginnend mit der letzten Buchseite werden die Verkäufe von fünf Grundstücken in einer Tabelle unter Angabe von Datum, Verkäufer, Käufer sowie Verkaufsgegenstand aufgeführt. Diese Einträge ähneln bereits stark den heutigen Einträgen in ein Grundbuch. - Platzierung und Darstellung dieser Ergänzung zum ersten Abschnitt sowie die Anmerkungen auf S. 54 zum Inhalt des zweiten Abschnitts machen deutlich, dass das Lagerbuch von Anfang an in drei Abschnitten konzipiert war.
Im zweiten Abschnitt von Seite 58 bis 98 werden Änderungen des Besitzes sowie der Rechtstellung von Flecken und Einwohnern aufgeführt. Diese Aufgabe des zweiten Teils wird auf S. 54 im Lagerbuch beschrieben als „Beschreibung des Fleckens jetziger Einkünfte, Gerechtigkeiten und Grentzen“. Hierzu gehören Grenz- und Nutzungsstreitigkeiten der Ländereien, Berufungen zum Magistrat, Abhaltung des „Echtedings“, einer Gerichtssitzung mit Ablegung des Bürgereides zur Aufnahme von neuen Bürgern und anschließendem Volksvergnügen. Weiter sind hier die Brände von 1762, 1763 und 1768 aufgeführt, die von der Bürgerschaft veranlaßte Befestigung des feuchten Wiesenweges von Gehrden nach Benthe durch einen Damm. Diese Maßnahme wurde 1776 zunächst durch den Bürger und Besitzer der Drillichmanufaktur, Johann Heinrich Jacob Knölke, vorfinanziert und als Projektleiter durchgeführt. Dies geschah in lokaler Initiative zu einer Zeit als die ersten maßstabsgetreuen Karten entstanden und als die ersten beiden Heerstraßen, Hannover – Göttingen und Hannover – Hameln, als befestigte Fernstraßen im Calenberger Land angelegt wurden. Der erfolgreiche Kampf um eine ortseigene Windmühle 1728 / 29 sowie die Anschaffung einer ersten Feuerwehr-„Sprütze“ 1809 und vieles mehr werden aufgeführt. In diesem Abschnitt wandelt sich der Charakter des Lagerbuches teilweise in eine Ortschronik. Der zweite Abschnitt endet mit einem Eintrag für das Jahr 1852, der Einweihung einer neuen Orgel in der Kirche. Dieser Beitrag hat nun nur noch den Charakter einer Chronik: das Lagerbuch hat ausgedient. Seine Funktion wurde anderweitig ersetzt, wie z.B. in den immer detaillierter werdenden Cammerey Registern zwischen 1732 und 1850. Auch durch die Verkoppelung haben sich die Rechts- und Besitzverhältnisse so verändert, dass die Führung des Buches den erhöhten Anforderungen einer stetig weiter differenzierten Verwaltung nicht mehr gewachsen war.
Im dritten Abschnitt sind Abschriften von zwei Urkunden angefügt: 1517, Herzog Erich I sowie 1557 von „Herzog Erich“, die auf die Rechte Gehrdens (Flecken: 1517 und Dorfschaft: 1557) gegenüber Ronnenberg eingehen. Der Transkription wurde die im Lagerbuch wiedergegebene Abschrift der Urkunde zugrunde gelegt. Die Übertragungen ins Hochdeutsche folgt jedoch zwei Dokumenten „Quellensammlung Gehrden“, die in Unterlagen des Gehrdener Heimatforschers Günther Meyer gefunden wurden und auf Unterlagen des Nds. HStA Hannover (heute NLA HStA Hannover) beruhen. Diese Übertragungen entsprechen daher nicht wortgenau den im Lagerbuch vorgefundenen Abschriften der Urkunden.
Das Lagerbuch dokumentiert einen langen Zeitraum von rund 140 Jahren, der in vielfacher Weise einen Umbruch bisheriger Strukturen darstellt. Lokal dokumentiert es beginnend mit der Amtseinsetzung des „Consul p.t.“ die Einführung einer systematischen, schriftlich geführten lokalen Verwaltung sowie der Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse im Flecken Gehrden. Zur Neuerung der systematischen Verwaltung gehört die Führung eines gebundenen Buches anstatt einer Sammlung von Einzeldokumenten. Die regionale Bedeutung kann noch nicht eingeschätzt werden. - Auf höherer Ebene fällt in diesen Zeitraum die Ablösung der Lehensherrschaft sowie die Verkoppelung, das Entstehen von Manufakturen und Industrien neben den bäuerlichen Strukturen, die Schaffung einer effizienteren und detailierteren Verwaltung mit schriftlich fixierten Befugnissen und Pflichten für die lokale Verwaltung. Durch Fortschrittte in der Mathematik kam es zur Entwicklung eines zunächst militärischen Vermessungswesens mit maßstäblichen Karten, sowie zu ersten befestigten Fernstraßen als Heerstraßen. Die Auswirkungen dieser Veränderungen lassen sich in den Einträgen des Lagerbuches wiederfinden.
Das Lagerbuch ist mit den Abmessungen von 33,0 x 21,0 x 5,6 cm etwas größer als das heutige DIN A 4 Format und hat einen schweinsledernen festen Einband. Das gebundene Buch umfaßt ca. 350 Seiten, von denen nur ca. 100 Seiten beschrieben wurden. Das dicke Papier zeigt im durchscheinenden Licht als Wasserzeichen horizontale Linien im Abstand von ca 1 cm, sowie ein ovales ca 15 cm hohes Wasserzeichen mit reichlicher Verziehrung, in dessen Mitte ein Signalhorn dargestellt sein könnte. Jeweils ca. 48 Seiten sind gemeinsam durch einen Faden in das Buch eingebunden. Die Nummerierung der Seitenzahlen beginnt mit Seite 1, der Aufstellung der Bürgerschaft, am Spehrstor beginnend (heute Steintor Bereich). Hierbei fällt auf, dass die Seiten der einleitenden Worte nicht mitnummeriert und gesondert eingebunden worden sind. Diese Seiten könnten zu einem späteren Zeitpunkt vom „Consul p.t.“ beschrieben worden sein, zumal das Schriftbild sehr gleichmäßig ist und die lateinischen Ausdrücke kaum dem täglichen Sprachgebrauch des Vollmeiers Haverkamp zuzurechnen sind. Die Gestaltung des Schriftbildes am Ende dieser beiden Seiten von Namen und Titel ähnelt den Schriftzügen von Thomas Friderici 1714 auf S. 58. Die ursprüngliche Nummerierung endet im Jahr 1809 mit Seite 89. Zu jener Zeit hatte der damalige Bürgermeister J.H.D.L. Knölke die Verwaltung wieder übernommen. Sie war während der französischen Besatzungszeit dem Gehrdener Grafen August von Rohde übertragen worden war (siehe M. Grohmann). Für die Amtszeit des „Maire“ Graf von Rohde gibt es keine Einträge im Lagerbuch. Nachfolgende Bürgermeister haben die Einträge dann wieder so fortgeführt als sei das Lagerbuch während der Okkupationszeit „verschwunden“ gewesen.
Für die Transkription wurde eine fotografische Kopie des Buches erstellt. Ziel war es, eine möglichst buchstabengetreue Transkription anzufertigen, die auch weitgehend den originalen Zeilen- und Seitenaufbau wiedergeben sollte. Dies ist aus unterschiedlichen Gründen nicht in allen Teilen geglückt.
Lateinische Ausdrücke wurden in dem hier vorgelegten Text - wie damals üblich – in einem anderen Schriftbild hervorgehoben. Dabei wurde gelegentlich vom Original abgewichen.
Die Transkription des Lagerbuches hat trotz zahlreicher Mitarbeiter über ein Jahr gedauert. Allen, die während dieser Zeit den Fortschritt mit Interesse verfolgt und unterstützt haben, die bei der Beschaffung und Erstellung der Scan- und Fotovorlagen behilflich waren und schließlich die Vorlagen in ein lesbares Manuscript transkribiert, geschrieben und formatiert haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt für ihre Zeit, für ihre finanzielle Unterstützung und nicht zuletzt für die zuvor über Jahre hinweg erworbenen geschichtlichen und heimatkundlichen Kenntnisse, die in dieses Manuskript mit eingeflossen sind.
Unser besonderer Dank gilt hierbei Herrn Friedel Meier aus Northen sowie Herrn Gerd Jaspers aus Lemmie!