1000 vor Christus; Das Hügelgrab auf dem Suerser Berg bei Gehrden im frühgeschichtlichen Kontext
Quelle: Gemeindebrief Nr. 2.2019
In diesem Teil unserer Gemeindebriefserie zur Friedhofs- und Bestattungskultur geht es um frühgeschichtliche Bestattungsformen. Sie geben einen Eindruck davon, wie die Menschen sich das Jenseits vorstellten, den Verlust eines wichtigen Menschen betrauerten und den Alltag neu organisierten.
Die frühgeschichtliche Bestattungskultur passte sich den veränderten Lebensverhältnissen an. In der Phase der Sammler und Jäger war die Brandbestattung üblich. Die Nomaden konnten die sterblichen Überreste mitnehmen und mit der Asche die Lebenserfahrung der Verstorbenen. Die Körperbestattung gehört zur bäuerlichen Lebensform, die sich ab ca. 11000 v. Chr. entwickelte. Aus der Zeit seit ca. 5000 v. Chr. sind Steinformationen erhalten, die als Gräber gedeutet werden können bzw. zum Teil mit großer Sicherheit Grabanlagen gewesen sind. Zu nennen sind die megalithischen Großsteingräber und aus neolithischer Zeit seit ca. 3000 v. Chr. die Dolmen als obertägige Grabkammern sowie Menhire als Marksteine für „Totenhäuser“ von Verstorbenen. Eine relativ junge Erscheinung sind die sog. Hügelgräber, die uns seit der Wende vom dritten zum zweiten vorchristlichen Jahrtausend begegnen.
Im Calenberger Land gab und gibt es noch heute viele dieser Art. Auf der Kuppe des Suerser Bergs südwestlich von Gehrden befand sich ein Hügelgrab, das nach 1945 abgetragen wurde (Aufn.: 1910, Quelle: Schautafel vor Ort). Das Grab soll aus der Zeit um 1000 vor Christus stammen: an diesem erhabenen Ort errichtet, der von einem imposanten Erdhügel zusätzlich überkrönt wurde! Beim Abtrag des Hügels entdeckte man einen Steinkreis von ca. 10 Metern Durchmesser (Grundrisszeichnung, Quelle: Schautafel vor Ort). Innerhalb des Steinkreises ist die Eintiefung für einen Bohlensarg oder eine Steinkiste zu erkennen. Deren Länge deutet darauf hin, dass hier eine Körperbestattung in gestreckter Rückenlage und wahrscheinlich mit dem Kopf in südlicher Richtung erfolgte. Als Referenzgrab kann ein Grab in Achmer, Landkreis Osnabrück, aus der Zeit von 1500 - 1200 v. Chr. gelten, wie es die Kreisarchäologie beschrieben hat. Dem Verstorbenen könnten, wie damals üblich, Verpflegung in Keramikvasen, Dolch oder Axt, Pfeil und Bogen sowie Kopfschmuck und/oder Armschutz beigegeben worden sein. Diese obertägige Grabkammer war vermutlich ein „Totenhaus“, das als Ort des Übergangs gedacht ist. Hier wurde der Tote zu einem Ahnen, der in der Totenwelt weiterlebte. Diese nannten die Kelten später „Anderwelt“. Die Grenzen galten für die Ahnen als durchlässig. Im frühgeschichtlichen Toten- und Ahnenkult verbinden sich deshalb Totenverehrung und Totenbannung. Auf solch eine „Einhegung“ könnte der Steinkreis hinweisen.
Der Erdhügel markiert jedenfalls die Kuppe als Familienterritorium und sollte möglicherweise mit dazu beitragen, den sog. „Wiedergänger“ davon abzuhalten, durch die Welt der Lebenden zu geistern. Für das zeittypische „Einzelgrab“ ist ein „heiliger“ Ort gewählt worden: in lichter Höhe, wo die Sonne vom Aufgang bis zum Niedergang präsent ist. Die Kuppe in der Morgensonne hat sich bis heute ihren Zauber bewahrt! Damals könnte die Sonnenorientierung eine naturreligiöse Bedeutung gehabt haben, dass die Ahnen durch die Sonne in ihrer jenseitigen „Lebendigkeit“ gestärkt werden sollten. Von seiner Machart her könnte das Grab älter sein als das angegebene Alter. Die Osnabrücker Kreisarchäologie stellt für ihren Bereich am Ende der jüngeren Bronzezeit seit ca. 1500 v. Chr. einen Wechsel zu Brandgruben- und Urnengräbern fest. Dies war vermutlich mit einer veränderten religiösen Vorstellungswelt verbunden. Vielleicht wollte man es den Ahnen erschweren, in die Welt der Lebenden zurückzukehren; vielleicht diente es zur „Purifizierung“, um den Toten den Übergang in die „Anderwelt“ zu erleichtern. Für das Jahr 1000 v. Chr. ist zu bedenken, dass in Mitteleuropa bis dahin die Brandbestattung weit verbreitet war. Die sog. Urnengräber-Kultur (1300 - 800 v. Chr.) löste nach und nach die Hügelgräberkultur ab. Die Bestattung erfolgte siedlungsnäher, Familiengräber wurden möglich und die Totenbannung verlor an Bedeutung. Offensichtlich im Gefühl größerer Sicherheit und/oder Gewissheit konnten nach 700 v. Chr. die Kelten jährlich Anfang November und später die Römer jeweils im Februar Totengedenktage begehen, ja sogar feiern! 1926 fand man etwas südwestlich des oben genannten Steinkreises ein weiteres Grab; die Knochenfunde und Keramikscherben wurden auf die Zeit um 1800 v. Chr. datiert. Gut vorstellbar ist es, dass die Kuppe des Suerser Bergs schon sehr früh als Grablege und Ort des Totengedenkens genutzt wurde. Meines Erachtens würde die Art des abgetragenen Hügelgrabs sehr gut in diese frühere Zeit passen.
Dieter Rudolph, Pastor Gehrden