Seit 101 Jahren gab es nun Kino in Deutschland – ziemlich genau gab es aber auch 25 Jahre lang Kino am Gehrdener Steintor. Seit 1940 gastierte hier zunächst einmal wöchentlich ein Wanderkinobetrieb aus Hannover und nutzte dafür den Saal der Bahnhofswirtschaft Blume. Heute ist aus dem ehemaligen Kino ein Drogeriemarkt geworden. Nach alten Gewerbeunterlagen der Stadt Gehrden hieß das Kino ab 1940 schon „KAMMERLICHTSPIELE GEHRDEN“. Die Nacht auf den 5. Januar 1945 bedeutete damals aber das AUS des beliebten Kinosaals. Nur wenige Brandbomben fielen einmal im Zweiten Weltkrieg über Gehrden. Neben Dachstuhlbränden in der Nordstraße und in der Teichstraße 1 stand auch das Kino in hellen Flammen und brannte bis auf seine Außenmauern total aus. Jetzt musste hier der Kinobetrieb ruhen. Wochenlang kündete aber noch ein Filmplakat im Schaukasten die letzte Vorführung an: „Die goldene Stadt“ mit Kristina Söderbaum, ein Farbfilm – einer der ersten – aus dem Jahre 1942. Vorher fanden Wanderfilmvorführungen im Ratskellersaal statt. Die Weserlichtspiele aus Vlotho kamen in die Burgbergstadt. Friedrich Löchner bemühte sich derweil, in seinem Gastronomie-Betrieb ein Kino zu eröffnen. Die Eintrittskarten für die „Waldschlößchen-Lichtspiele“ waren schon gedruckt. Er bekam aber keine Konzession, diese stand den „Kammerlichtspielen“ zu. Diese ruhten nun aber in den schweren Nachkriegsjahren.
Malermeister August Blume, der Vater von Gerde Oberkönig, hingegen ruhte nicht. Er baute unter schwierigen Bedingungen das Kino wieder auf. Jetzt nach den Plänen des Architekten Hindahl aus Bremen. Mit Naturalien, damals besonders gefragt, beschaffte er mühsam über drei Jahre lang Baumaterial, technische Einrichtungen bis hin zum Gestühl. Ein Vorführraum wurde angebaut.
Stationäre Kinomaschinen konnte Malermeister Blume aber nicht bekommen. Die neu erstandenen „Kammerlichtspiele“ boten jetzt bequeme Plätze für etwa 500 Besucher. Eine Loge und ein Balkon gaben dem Lichtspieltheater eine besondere Atmosphäre. Das Wanderfilmunternehmen Kurt Ritter sorgte für Vorführungen, gab aber bald auf. Da trat der Rundfunktechniker und Mechanikermeister Franz Theinert aus Gehrden auf den Plan und baute ehrgeizig einen alten Stummfilmprojektor zu einer brauchbaren Tonfilmmaschine um. Ein Lichthaus mit Kohlestäben für eine starke Lichtbogenquelle gehörte dazu. Zu einer pausenlosen Filmvorführung gehören nun aber zwei Projektoren. Franz Theinert löste das Problem auf einen andere Art und Weise: Er konstruierte eine Vorrichtung, womit sich das Ende der abgelaufenen Filmspule mit dem Anfang der neuen Spule verkleben sollte. Dieses erforderte viel Fingerfertigkeit, sehr oft musste der Film wieder mit der Hand eingefädelt werden. Die Pause wurde dann mit Schallplattenmusik überbrückt. Die stationäre Maschine war nun einsatzbereit, aber die Konzession der englischen Besatzungsmacht ließ noch auf sich warten. Am 27. April 1948 wurde sie erteilt. Erich Oberkönig hatte seinen Vorführschein erworben und nur wenige Tage vor der Währungsreform, am 12. Juni 1948, wurde der Spielbetrieb aufgenommen. Jetzt konnte die ganze Woche über das „Lichtspieltheater“ seine Pforten öffnen. Nur montags war spielfrei, gleichzeitig Programmwechsel. Der erste Spielfilm der neuen „Kammerlichtspiele Gehrden“ hatte auch den Titel: „Zwei glückliche Menschen“. Erst richtig glücklich aber war Erich Oberkönig erst, als er mit seinem Pkw und einem Anhänger aus Stuttgart zwei nagelneue Bauer-Kino-Projektoren abholen konnte. Nur gehörten Filmrisse und Unterbrechungen zu den absoluten Ausnahmen. Das Kino war in den 50er Jahren oft bis zum letzten Platz ausverkauft. Heimatfilme waren besonders gefragt. Der Eintrittspreis lag bei 80 Pfennig bis 1,20 Mark in der Loge. Anteil am Eintrittskartenerlös hatte auch die Stadtkasse. Sie erhob 30 Prozent Vergnügungssteuer. Bei besonders wertvollen Filmen im Beiprogramm wurde die Steuer ermäßigt oder ganz erlassen. Anfang der 60er Jahre zog das Fernsehen immer mehr in die guten Stuben ein und verdrängte nicht nur in Gehrden die Lichtspieltheater.
Schlachtermeister Friedr. Wilh. Beier erinnert sich: „Ich freute mich auf den Kinoabend am Samstag. Plötzlich hieß es, die Vorstellung fällt aus, es sind nur 16 Besucher da. Das Geld wird erstattet.“ Und so gingen die Lichter am 29. Dezember 1968 in den „Kammerlichtspielen“ für immer aus. Nach rund 25 Jahren lief endgültig der letzte Filmstreifen im Kino am Steintor. Aus dem Kino wurden ein Edeka-Markt, später ein Drogerie-Markt und heute ein Sonnenstudio. Der Vorführraum, der über die Holzleiter zu erreichen war, wurde abgeschlossen. Die beiden Bauer-Projektoren und die übrige Technik verblieben dort und gerieten wohl bald in Vergessenheit, zumal es keine Interessenten dafür gab. Geschlossene Kinos gab es ja in vielen Orten. Die Treppe wurde abgebrochen, weil sie morsch geworden war. 28 Jahre lagen die Projektoren im Dornröschenschlaf. Ich wusste davon, weil ich selbst auch aushilfsweise die Maschinen bediente. Erich Oberkönig war von dem Plan begeistert, die Projektoren zu bergen und auch darüber, dass ich sie restaurieren wollte. Die Eigentümerin, Frau Volker, freute sich, dass sich ein Liebhaber dafür fand. Dann trat die Feuerwehr auf den Plan und brach die vernagelte Tür auf. Herr Oberkönig betrat als erster seine langjährige Wirkungsstätte und war mit den Feuerwehrmännern über den optisch guten Zustand der Einrichtungen erstaunt. Technisch sah es später aber ganz anders aus. Dann wurde Muskelkraft gefordert. Nach Zerlegung der Kinomaschine durch die begeisterten Feuerwehrmänner wurden die Einzelteile abgeseilt. Das Kalenderblatt – 28. Dezember 1968 – hing noch an der Wand.