Das Nordische Drachenhaus in Gehrden, Kurzversion, ohne Bilder

 

Inhaltsverzeichnis:

 

1)               Einleitung: Was Gehrden mit Rügen und Usedom verbindet / Dank an Familie Fiedeler

 

2)               Das Nordische Drachenhaus am Burgberg: Impressionen,

 

3)               Baubeschreibung,

 

4)               Ornamentik 

 

5)               Die Entstehung des Drachenstils - 

 

6)               Wer baute das Drachenhaus am Burgberg?

 

 

 

1)               Einleitung: Was Gehrden mit Rügen und Usedom verbindet!


Im September 2012 machten meine Frau und ich eine Woche Urlaub in Binz auf Rügen. Wir waren schon mal auf Rügen gewesen – damals, im Jahr 1990 gleich nach der Wende. Nun wollten wir Erinnerungen auffrischen, einfach schauen, was sich so alles verändert hat. Und um es gleich vorweg zu sagen: Rügen ist noch schöner geworden. Die gepflegten Straßen, die weiß gestrichenen Häuser im Stil der Bäderarchitektur, die vielen neuen Hotels. Wirklich eindrucksvoll, was durch den Aufbau Ost wieder bzw. neu entstanden ist.

Wir wohnten in einer schönen Ferienwohnung nicht weit vom Strand in Binz entfernt. Spaziergänge auf der Uferpromenade waren angesagt, ganz klar. Der Blick ging dabei weit über die Ostsee bis zu den berühmten Kreidefelsen hinter Saßnitz. Ja und dann geschah es: Plötzlich standen wir vor Undine, einem wunderschönen alten Holzhaus. Das war meiner Frau und mir bei unserem ersten Besuch in den 90ern gar nicht aufgefallen. Aber jetzt strahlte es in neuem Glanz und zog die Blicke auf sich.

Am nächsten Tag fuhren wir mit unserem Auto nach Sellin. Gut, Binz hat auch eine Seebrücke, aber die von Sellin ist doch um ein Vielfaches eindrucksvoller – nicht zuletzt, weil sie vor einem Steilufer liegt und erst durch eine große Freitreppe zu erreichen ist. Der Parkplatz liegt etwas vom Ufer entfernt – der Weg führte uns deshalb noch durch die Wilhelmstraße, um ganz nah an den Strand zu kommen. Und da passierte es zum zweiten Mal: Wieder standen wir verdutzt vor einem schicken Holzhaus. „Villa Finja“ war auf einem Schild zu lesen. „Nordisches Blockhaus im finnischen Stil, 1905 gebaut. Besonders beachtenswert sind die verzierten Holzkonstruktionen in allen Giebelbereichen.“

Und jetzt war der Groschen endgültig gefallen!

„Haben wir nicht auch in Gehrden solch ein hübsches Holzhaus mit vielen Verzierungen, die irgendwie an die nordische Architektur erinnern? Wenn wir wieder zu Hause sind, müssen wir uns das Haus am Fuße des Burgberges unbedingt genauer ansehen!“ ---

Und das haben wir dann auch getan.

Was zunächst nur Vermutung war, stellte sich bald als richtig heraus. Bei unserem Gehrdener Haus handelt es sich in der Tat um ein nordisches (norwegisches) Blockhaus. Und auch dieses Haus mit einem Drachen oben drauf ist um 1900 entstanden.

 

Dank an Familie Fiedeler

Natürlich wollte ich mir das Haus auch gern einmal von innen ansehen. Also hab ich einfach bei Familie Fiedeler angerufen und meinen Wunsch vorgetragen. Kein Problem! „Schauen Sie gern einmal vorbei – unser Haus steht Ihnen offen!“

So ging ich dann mit meinem Fotoapparat bewaffnet zum Holzhaus am Fuße des Burgberges und habe drinnen und draußen ordentlich fotografiert. Schöne Bilder sind dabei entstanden – doch viele Fragen stellen sich: Was haben bloß die zahlreichen Ornamente zu bedeuten? Wie kommt ein norwegisches Drachenhaus zu uns nach Gehrden? Dank ausgiebiger Recherchen wurden einige Antworten gefunden und können jetzt in diesem Heft mitgeteilt werden.

 

Dieter Mahlert

 

3)               Baubeschreibung

Das Gebäude besitzt ein Fundament aus Mauerwerk (= Bruchsteine vom Gehrdener Berg). Der Aufbau des eigentlichen Hauses erfolgt in nordischer Blockhausmanier in 70 mm starken Bohlen. Diese Wandstärke hat sich seit langem in der Praxis bewährt und ist in Deutschland in vielen Bauausführungen verwendet worden. Die Verdübelung, Gründung und die Eckverbände bieten Gewähr für eine absolut zuverlässige Konstruktion. Der vertikale Druck in einem solchen Gebäude ist sehr gering, da das Gesamtgewicht nur etwa 10 – 15.000 kg beträgt. In Bezug auf den Wärmeschutz ist zu berücksichtigen, dass Holz eine 8mal größere Isolationsfähigkeit besitzt gegenüber Stein. Die Wandstärke von 70 mm entspricht in Bezug auf Isolation damit einer Mauerstärke von 56 cm.

 

4)               Zur Ornamentik des Hauses (Mythologie)

Drache mit Midgard, Thor mit Midgardschlange

Midgard ist eine germanische Bezeichnung für die Welt oder die Erde. Midgard, wortwörtlich „Mittelgarten“, meint dabei den Wohnort der Menschen in der Mitte der Welt.

In der nordischen Vorstellungswelt bildet Midgard ein horizontales, kreisförmiges Weltbild. Es entspricht der Siedlungsstruktur des Nordens bis in die Zeit der industriellen Revolution hinein, in der das Bauerngehöft den Mittelpunkt der Welt bildet.

Das Grundwort „gard“, das im mittelalterlichen Skandinavien hauptsächlich für „Bauernhof“ stand, bedeutete jedoch ursprünglich eine Einfriedung, einen Grenzwall oder –zaun. Dadurch wurde die Welt in zwei gegensätzliche Bereiche aufgeteilt: in ein Innen und in ein Außen. Das umfriedete Innere ist der Lebensbereich des Menschen, in dem unter dem Schutz der Götter Kultur möglich wird, während im Außenbereich die bösen Dämonen und Riesen leben.

In der Literatur, die sich von der Edda (= Sammlung altnordischer Götter- und Heldengeschichten) herleitet, ist Midgard damit nicht nur die Welt der Menschen, sondern auch die der Götter. Midgard wird von den Göttern erschaffen und dient als Wohnort der ersten Menschen

Die Übereinstimmung mit dem Garten Eden der hebräischen Bibel – dem Alten Testament - ist auffallend. Auch hier leben die ersten Menschen – Adam und Eva – in einem geschützten Raum, dem Paradies.

 

Ein Drache ist ein schlangenartiges Mischwesen der Mythologie, in dem sich Eigenschaften von Reptilien, Vögeln und Raubtieren in unterschiedlichen Variationen miteinander verbinden. Häufig ist er geflügelt, mit Adlerklauen oder Löwenpranken ausgestattet und speit Feuer. Der Drache ist als Fabelwesen aus Mythen, Märchen und Sagen bekannt; bis in die Neuzeit wurde er als real existierendes Tier angesehen.

Eine herausragende Stellung nimmt der Drache in der ornamentalen Bildkunst der Wikingerzeit ein. Drachenköpfe verzieren Runensteine, Fibeln, Waffen und Kirchen.

In altskandinavischen Quellen schützen die Drachen vor feindlichen Geistern. Der feuerspeiende Drachen auf der Spitze des Giebels soll somit das Haus und seine Bewohner vor bösen äußeren Einflüssen bewahren.

 

Thor -- der Gewitter- und Wettergott als Beschützer von Midgard

 

Thor besiegt die Midgardschlange, die Midgard bedroht

Die Midgardschlange (Seeschlange / Weltenschlange) ist in der germanischen Mythologie eine die Welt umspannende Seeschlange, die Midgard zerstören will. Thors Bestreben ist es, das zu verhindern. Er tritt mehrmals an, die Schlange zu besiegen.

Thor (so sein Name im Norden Europas) oder Donar (so genannt bei den südlicher wohnenden germanischen Völkern) ist „der Donnerer“, der sich mit Blitz und Donner am Himmel bemerkbar macht.

Thor/Donar war für die zur See fahrenden Völker der Gewitter- und Wettergott, für die bäuerliche germanische Gesellschaft ermöglichte er als Regengott das Wachstum der Feldfrüchte und sorgte damit für eine ausreichende Ernte.

In den mythologischen eddischen Schriften hatte er die Aufgabe des Beschützers von Midgard, der Welt der Menschen.

 

Eine Swastika (Sanskrit m. „Glücksbringer“) ist ein Kreuzsymbol mit abgewinkelten oder gebogenen Armen.

Solche Symbole sind in zahlreichen Formen seit etwa 6000 Jahren in Europa und Asien nachgewiesen. Die vier Enden können nach rechts oder links gerichtet, recht-, spitz-, flachwinkelig oder rundgebogen und mit Kreisen, Linien, Punkten oder Ornamenten verbunden sein. Die Symbole haben je nach zeitlicher und geografischer Zuordnung ganz verschiedene Bedeutungen.

Bei den historisch als Germanen beschriebenen Gruppen findet sich das Hakenkreuz als Stilelement bis in die Völkerwanderungszeit des vierten bis sechsten Jahrhunderts in der Alltagskultur wieder.

Auch die Wikinger im Ostseeraum und in Skandinavien verwendeten die Swastika häufig (z.B. auf Runensteinen).

Das Hakenkreuz an unserem Blockhaus hat also nichts mit dem Nationalsozialismus in Deutschland der 30er/40er Jahre zu tun.

 

Odin / Wotan

Odin oder südgermanisch Wodan, neuhochdeutsch meist Wotan.

Odin ist der Hauptgott in der nordischen Mythologie der eddischen Dichtung. Dort fungiert er als Göttervater, Kriegs- und Totengott, als ein Gott der Dichtung und Runen, der Magie und Ekstase mit deutlich dämonisch-schamanistischen Zügen.

Odin ist überaus weise.

Sein Wissen verdankt er zwei Raben, Hugin und Munin, die auf seinen Schultern sitzen und ihm alles erzählen, was auf der Welt geschieht.

 

Wotan-Denkmal in Hannover

Denkmal von Wilhelm Engelhard (1888), hinter dem Niedersächsischen Landesmuseum in der Planckstraße. Besteht aus Kalkstein und zeigt den germanischen Gott Wotan mit seinen beiden Wölfen. 1901 aufgestellt, 1943 entfernt, seit 1987 wieder am alten Standort.

 

5)               Die Entstehung des Drachenstils

Der Drachenstil ist ein Architekturstil, der vorwiegend in Norwegen Verwendung fand. Er entstand 1870 in Schweden und verbreitete sich von 1880 bis 1910 in Norwegen. Er ist mit der nationalromantischen Strömung verknüpft, in dem Bestreben, eine nationale architektonische Formensprache zu entwickeln. Norwegen befand sich damals in einer Union mit Schweden, die 1905 von den Norwegern aufgekündigt wurde.

Entstehung des Drachenstils unter Holm Hansen Munthe

Der Architekt Holm Hansen Munthe, der 1878 in Hannover unter Conrad Wilhelm Hase studierte, prägte den Drachenstil als architektonischen Stilbegriff. Er brachte den Stil durch seine bewusste Haltung zur Holzarchitektur voran.

Im Jahr 1890 stattete der deutsche Kaiser Willhelm II. Norwegen einen Staatsbesuch ab. Er war so von Munthes Bauten begeistert, dass er ihn beauftragte, sein Jagdschloss in Rominten zu bauen. Es folgten weitere Aufträge für eine Kapelle und die Königliche Matrosenstation in Potsdam. Der Dachenstil kam in Mode und wurde über den Tod Munthes im Jahr 1908 hinaus weitergeführt.

 

6)               Wer baute die Holzhäuser am Burgberg?

Im Jahre 1905 kaufte der Unternehmer Hermann Bartling aus Grasdorf das Gelände am Burgberg vom Gehrdener Landwirt Friedrich Reverey. Bartling wollte hier für sich und seine Familie ein aus Holz gefertigtes Wochenend- bzw. Ferienhaus im Norwegischen Stil errichten lassen. Dieser Stil war in Deutschland gerade sehr beliebt – denn Kaiser Wilhelm II., der mit seiner Yacht Hohenzollern häufig und gern nach Norwegen fuhr, mochte diese Art zu bauen (s.o.).

Bartling suchte einen passenden Architekten und fand ihn in dem Hannoveraner Brandes (Vorname unbekannt).

So entstanden die beiden Blockhäuser am Burgberg: in das vordere Haus mit dem Drachen auf dem Giebel zog der Architekt selber ein, in das dahinterliegende Holzhaus mit den beiden Pferdeköpfen (genannt Villa Waldfrieden) zog Familie Bartling.

Die verkehrliche Anbindung an Hannover war damals schon gut, denn die Straßenbahnlinie 10 war bereits 1898 fertiggestellt worden. Bis 1917 fuhr sie – zumindest an den Wochenenden – in einer Nebenlinie auch den Berg hinauf bis zum Gasthaus Niedersachsen.

 

Die beiden Holzhäuser (Baujahr 1905) waren die einzigen Gebäude am Osthang des Burgberges. Die Rübenäcker der Zuckerfabrik Neuwerk reichten bis an die Grundstücksgrenze. Der freie Blick ging über die Calenberger Lössbörde bis nach Hannover

 

 


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