Die Leinenmanufaktur Knölke in Gehrden 

Inhalt
1. Einleitung
2. Memorial zur Befreiung von Leinenwebern von der Rekrutierungim Jahre 1803
3.  Aus der Entwicklung der Leinenweberei
4. Fragmente zur Geschichte der Leinenmanufaktur Knölke in Gehrden
5. Schlußbetrachtung

Ausarbeitung von U. Küßner, Wennigsen

..ihrem Schicksal überlassen"

Fragmente zur Geschichte
der Leinenmanufaktur Knölke in Gehrden
unter Berücksichtigung 
politischer Einflüsse

Einleitung

Zu Beginn des Jahres 1803 hatte sich das politische Klima zwischen Frankreich und Großbritannien so dramatisch verschlechtert, daß ein Krieg von britischer Seite nicht mehr ausgeschlossen wurde. Aufgrund der Personalunion zwischen Hannover und Großbritannien waren negative Auswirkungen für das Kurfürstentum zu befürchten. Militärische Vorbereitungen unterblieben jedoch weitgehend, obwohl die hannoversche Armee schlecht gerüstet war.

Erst am 16. Mai 1803 erließ das Kurfürstliche Staats- und Kabinettsministerium den Befehl, umgehend ein vollständiges Verzeichnis aller wehrdienstfähigen Untertanen zu erstellen. War damit auch kein Gestellungsbefehl verbunden, so sah doch die Bevölkerung darin ein Volksaufgebot, das mit großem Mißfallen aufgenommen wurde und in einigen Fällen sogar offenen Widerstand hervorrief. Am 24. Mai folgte ein zweiter Erlaß mit abgeschwächten Formulierungen.

Die Städte, Gerichte und Ämter des Kurfürstentums stellten namentliche Verzeichnisse der dienstfähigen Mannschaften zusammen und legten diese überwiegend in der dritten Dekade des Monats Mai 1803 dem Staatsministerium vor. Diese Erfassung zog eine Anzahl von Bittschriften um Rückstellung oder gar Befreiung von der Rekrutierung nach sich. Darunter befand sich ein Gesuch der Leinenmanufaktur Knölke in Gehrden, mit dem für acht Leinenweber die vorläufige Befreiung von der Rekrutierung erreicht werden sollte.

Dieses sogenannte Memorial vom 25. Mai 1803 wird im folgenden im Wortlaut wiedergegeben. In dem damit eingeleiteten Hauptteil dieses Aufsatzes schließen sich Bemerkungen über das Formale und den Inhalt des Memorials sowie Streiflichter über die allgemeine Entwicklung der Leinenweberei und die Geschichte der Leinenmanufaktur Knölke in Gehrden an. In der Schlußbetrachtung wird der Frage nachgegangen, ob das Memorial erfolgreich war.

Memorial zur Befreiung von Leinenwebern von der Rekrutierung
im Jahre 1803

Das handschriftliche Original liegt im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv  Hannover unter der Signatur Hann. 9f Nr. 189, Bd. 2 und ist bei der Archivierung auf den Vorderseiten paginiert worden (12-14). Es ist in Anlage 1 als Faksimile wiedergegeben und liest sich wie folgt, wobei die auf dem Schriftstück befindlichen Stempelabdrücke wegen der ungenügenden Wiedergabemöglichkeiten nachstehend mit L. S. bezeichnet sind. 

Pr. 25. Mai 1803.
                   (L. S.)           Periculum in Mora            (L. S.)
               
An Königl. Churfürstl. Hohes Staats-Ministerium, Manufactur Departement
untherthänigstes  Memorial, de dato Hannover  den 25sten May 1803  von
Seiten des Hofliferant Knölcke, und nahmens desselben, des Adv. Thielen
                                                   um Gnädigste vorläufige Befreiung der
                                                   Fabrick-Arbeiter, von der Recrutirung.

Da der Hofliferant Knölcke, nach Holstein, Dänemarck p.p. verreiset ist, und mir in seiner Abwesenheit das Beste seiner Fabrick, zu befördern, aufgetragen hat: So bin ich gedrungen, zu Verhütung eines gänzlichen Ruines dieser so ansehnlichen Fabrick, bei denen gegenwärtigen mißlichen Aussichten, um Erhaltung, der in der Fabric arbeitenden Gesellen, unterthänigst nachzusuchen.
Da die Umstände äuserst dringend sind: So bescheidet man sich gern, nur um die Befreiung derjenigen Gesellen, welche in des Hofliferant Knölcke eigenen Fabrickhause arbeiten, unterthänigst nachzusuchen, und man muß die Gesellen der auswärtigen Meister, welche für die Fabric Arbeiten, ihrem Schicksal überlassen; Allein die in dem Fabrickhause größtentheils auf breiten Stühlen, Arbeiten können, durchaus nicht entbehrt werden, weil sonst nicht allein die Arbeit in Stillstand gerathen, sondern wenigstens für mehr als 2000 Rtlr. aufgezogene Waare, gänzlich verlohren gehen würde. Diese Gesellen sind folgende.

1.) Ludewig Elerding aus Loccum
2.) Ernst Fige, aus Goltern
3.) Heinrich Edles, aus Munzel
4.) Christoph Stahr aus Langreder
5.) Heinrich Topp, aus Springe als Lehrling 
6.) Ludewig Laue aus Degersen
7.) Heinrich Stegen aus Gehrden, Lehrling
8.) Meister Christoph Wildhagen aus Gehrden, auf breiten Stuhl. 

Es ist nicht die Absicht selbige geschützt zu sehen, wenn ein algemeiner Aufstand erforderlich sein sollte. Allein so lange nicht erforderlich ist, hofft man unterthänigst, daß Ew. Excellences, die Fabrick nicht ruiniren werden.

Ew. Excellences bittet man daher unterthänig, propter periculum in mora, Gnädigste Verfügung ergehen zu lassen, daß bemeldete Gesellen, bis zum allgemeinen Aufgeboth, nicht von der Arbeit genommen werden.

... Thielen Adv.


Um das Schriftstück richtig interpretieren zu können, war zunächst die Bedeutung von Bearbeitungsvermerken und heute nicht mehr gebräuchlichen Begriffen zu klären. "Pr. 25. Mai 1803" ist ein Präsentationsvermerk, d.h. das Gesuch wurde an diesem Tage eingereicht und mit entsprechendem Eingangsvermerk versehen. Somit handelt es sich hier um eine Ausfertigung, die den Adressaten erreicht hat. Als Anschrift ist das Königl. Churfürstl. Hohe Staatsministerium angegeben. Hannover war zu jener Zeit Kurfürstentum. Wenn auch Verfassung und Verwaltung zwischen Großbritannien und Hannover trotz des gemeinsamen Herrschers strikt getrennt waren, so wurden doch die Kurfürstlichen Behörden Hannovers gleichsam als besondere Ehrerweisung mit dem Zusatztitel "Königlich“ versehen. 

Die beiden Stempelabdrucke zeugen von einer Art Papiersteuer, die nach französischem Vorbild in Hannover einige Jahre lang erhoben wurde. Für Schreiben an amtliche Stellen durfte nur Papier verwendet werden, für das diese Abgabe gezahlt worden war. Aus dem linken Abdruck geht die Höhe des entrichteten Betrages hervor, hier 1 Mariengroschen. Der rechte Abdruck mit der Krone und den Buchstaben "GR" (= Georgius Rex) besagt, daß diese Steuer im Namen des Landesherrn, König Georg III., eingezogen wurde.

Der Antrag datiert vom 25. Mai 1803 ist und an demselben Tage der betreffenden Behörde vorgelegt worden, denn Eile war geboten. Das drückt der Hinweis "Periculum in Mora" aus. Nach Georg Büchmann ist dies "ein Rechtsausdruck, der einen Grund für ein summarisches (schleuniges) Rechtsverfahren enthält" und für "Gefahr im Verzuge" steht. Memorial hat verschiedene Bedeutungen. In der Vorlage wurde es im Sinne von "Eingabe, Bittschrift" gebraucht. Ew. Excellences (= Eure Exzellenzen) war als Anrede für Minister und hohe Beamte gebräuchlich. 

Der Familienname Knölke wird hier noch mit "ck" geschrieben. Später entfiel das "c". In diesem Aufsatz findet durchgehend die jüngere Schreibweise Anwendung.

Der Inhalt des Gesuches vermittelt einen Eindruck von der sozialen Lage abhängig Beschäftigter. Die außerhalb der Fabrik tätigen Leinenweber werden mit einem Halbsatz abgetan, indem es heißt, man müsse sie "ihrem Schicksal überlassen". Dieser scharfe Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit läßt bereits die Entfaltung des Hochkapitalismus ahnen.

Bei den acht namentlich genannten Leinenwebern geht es offenbar nicht darum, ihnen ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Einziger Beweggrund ist, einen finanziellen Verlust für den Fabrikanten abzuwenden, unabhängig davon, was mit dem "gänzlichen Verlust dieser so ansehnlichen Fabrick" gemeint ist. Hier darf wohl vermutet werden, daß aus naheliegenden Gründen eher etwas übertrieben wurde.

Aus der Entwicklung der Leinenweberei

Die Lage der Leinenweber zu Beginn des 19. Jh. läßt sich kaum veranschaulichen, ohne die Entwicklung der Leinenweberei wenigstens in ihren Grundzügen anzureißen. Bereits im 10. Jh. war die Leinenweberei in Norddeutschland verbreitet. Seit im 11. Jh. die ländliche Besiedlung fortschritt, wurde im gesamten deutschen Gebiet Flachs angebaut, gesponnen und zu Leinen verwebt. Selbständige Leinenwebergilden sind in Nordwestdeutschland seit dem 14. Jh., in oberdeutschen Städten seit dem 13. Jh. nachgewiesen. Die Hanse besorgte den Export in fast alle europäischen Länder. Seine wirtschaftliche Blütezeit erlebte das Leinengewerbe im 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts. 

Für die Produktion des Exportleinens lassen sich drei Schwerpunktgebiete ausmachen. Am nächsten liegt uns das Gebiet um Osnabrück, Bielefeld und Münster, das man noch um die im Weserland und in Niedersachsen konzentrierte Leinenweberei erweitern kann. In Südwestdeutschland gab es mit der schwäbischen Alb und dem Bodenseegebiet einen weiteren Schwerpunkt. Die ausgedehnteste Zone wurde von Schlesien, Böhmen, Oberösterreich, Sachsen und der Oberlausitz gebildet.

Der Dreißigjährige Krieg brachte für die davon betroffenen Lande herbe Rückschläge auf allen Gebieten. In Hannover, das 1692 zum Kurfürstentum erhoben wurde, versuchte die Obrigkeit, neben den übrigen Gewerben auch die Leinen- und Tuchfabrikation durch gesetzliche Vorschriften und Ratschläge an die Produzenten wieder in Gang zu bringen und zu fördern. Die von 1714 an bestehende Personalunion zwischen Hannover und dem bereits damals industriell hochentwickelten Großbritannien brachte für Hannover nicht den wirtschaftlichen Fortschritt, der für eine nachhaltige Stärkung seiner Wirtschaftskraft notwendig gewesen wäre.

Durch den Siebenjährigen Krieg, der dem Land schwere Belastungen auflud, kamen Handel und Gewerbe fast völlig zum Erliegen. Wiederum versuchte die Regierung, durch regulierende Maßnahmen die Wirtschaft zu beleben. Man errichtete ein ausgedehntes Schutzzollsystem und vergab zinslose Darlehn an Kaufleute und Unternehmer.

Zumindest in der Leinenweberei hat dies offenbar nur vereinzelt Früchte getragen. So schreibt Patje im Jahre 1796 über das Amt Calenberg im Leine-Distrikt, daß der Leinenhandel "noch sehr in der Kindheit steckt, da ausser der Knölkeschen Fabrik zu Gehrden, welche vorzüglich gute Drelle liefert, die übrigen Weberstühle wenig mehr als die eigene Consumtion der Unterthanen liefern". Offenbar war die Grundhaltung der Entscheidungsträger in der Bevölkerung weitgehend pessimistisch. Gegen Ende des 18. Jh. beurteilte die Mehrzahl der Amtmänner im Kurfürstentum Hannover die Aussichten für die Leinenweberei negativ. Alles in allem hatte es aber doch einen gewissen Aufschwung gegeben, und so sah nach 1800 die Mehrheit der Amtmänner durchaus Chancen für die Leinenweberei und befürwortete die Ausweitung dieses Gewerbes im Bereich ihrer Ämter. Wie wir heute wissen, war es dafür nun zu spät.

In der ersten Hälfte des 19. Jh. kumulierten politische, wirtschaftliche und technische Entwicklungen und leiteten den endgültigen Niedergang der Leinenweberei ein. Der 1803 zwischen Frankreich und England ausgebrochene Seekrieg hatte die Blockade der Weser- und Elbhäfen zur Folge. Die  von Napoleon für den gesamten britischen Handel im Jahre 1806 verfügte Konti-nentalsperre verschärfte die Situation. Nordwestdeutschland wurde von seinen Exportmärkten für Leinenerzeugnisse abgeschnitten.

England war wegen der Kontinentalsperre gezwungen, die bisherigen Importmengen an Leinen zusätzlich selbst herzustellen. Durch technologische Innovation steigerte England die Produktivität seiner Leinenindustrie derart, daß es bald nicht nur den eigenen Bedarf decken, sondern darüber hinaus noch größere Mengen exportieren konnte. Diese Exporte führten zu einem weiteren Verlust deutscher Märkte, z. B. in Spanien.

Während Englands Leinenfertigung nun fast ausschließlich maschinell erfolgte, stützte man in Deutschland das alte Hausgewerbe. Die Kontinentalsperre wurde 1813 aufgehoben, und jetzt bediente England den gesamten euro-päischen Markt zu niedrigen Preisen mit seinem Leinen. Das politisch und wirtschaftlich zerrissene Deutschland war dieser Entwicklung machtlos aus- 

geliefert. Abhilfe brachte dann der am 1. Januar 1834 wirksam gewordene Deutsche Zollverein, dem Hannover jedoch erst 1854 beitrat.

In der Zwischenzeit war die Baumwolle gegenüber dem Leinen konkurrenzfähig geworden, und so begann die Nachfrage nach Leinenerzeugnissen bereits in der ersten Hälfte des 19. Jh. zu sinken. Ab Mitte des 19. Jh. ließ sich dann der Niedergang der Leinenweberei nicht mehr aufhalten. Daß dies im hannoverschen Raum nicht zu sozialen Unruhen führte, mag an der relativ geringen Zahl der Betroffenen und der Besonnenheit seiner Bewohner gelegen haben. Zudem wirkte die Auswanderung von Landeskindern als Ventil.

Fragmente zur Geschichte der Leinenmanufaktur Knölke in Gehrden

Nach der Betrachtung der Entwicklung der Leinenweberei allgemein wird versucht, am Beispiel der Leinenmanufaktur Knölke in Gehrden Aufstieg und Niedergang eines einzelnen Betriebes darzustellen. Bei der Literatur-Recherche und den Forschungen in Archiven zeigte sich, daß es kaum Quellen gibt, die direkte Aussagen zu diesem Gewerbebetrieb machen. Die noch heute in Gehrden ansässige Familie Knölke hat nach ihren Angaben keine Unterlagen über den Manufakturbetrieb in ihrem Besitz. So mußten zum großen Teil Rückschlüsse aus Personenstandsdaten und aus anderen aufgefundenen Angaben gezogen werden, um die Leinenweberei in Gehrden näher zu beleuchten.

Lediglich Christian Ludwig Albrecht Patje gibt in seinem Buch von 1796 über den "Fabriken-, Gewerbe- und Handlungszustand in den Chur-Braunschweig-Lüneburgischen Landen" eine kurze Schilderung. Er schreibt in einem Abschnitt über die Drell-Manufaktur: "Fabrikmässig wird solche vorzüglich von den Brüdern Knölke zu Gehrden betrieben, welche auf acht Stühlen im Hause und 32 ausser Hauses arbeiten lassen, und jährlich für viele tausend Rthlr. Waare verfertigen, auch einen ansehnlichen Absatz davon nach Coppenhagen und Hamburg haben. Dieselben können auch Dammast-Drell verfertigen, obwohl sie solchen nicht gewöhnlich auf dem Lager haben. Dammast-Drell wird noch zu Hameln und zu Neustadt verfertiget." Die weiteren Ausführungen Patjes besagen, daß die Manufakturen in Hameln und Neustadt nicht von den Brüdern Knölke betrieben wurden. An anderer Stelle hebt Patje hervor, daß "die aus Tisch-Drell bestehende Manufactur des Kaufmanns Knölke in Gehrden, den hauptsächlichen Absatz nach Dännemark machet".

Wer waren die Brüder Knölke? Nach Angaben des Gehrdener Einwohners und Knölke-Nachkommen Friedrich Gehrke sowie nach Daten aus Kirchenbucheintragungen ergibt sich folgendes Bild: Die Brüder hießen Just Hermann Diedrich Ludwig Knölke, geboren am 30. Oktober 1759 in Gehrden, und Heinrich Friedrich Gottlieb Ferdinand Knölke, geboren am 26. Juli 1761 in Gehrden. Es waren die beiden ältesten von acht Geschwistern. Sie enstammten der Ehe von Johann Heinrich Jacob Knölke und Sophie Juliane Engelken, die am 20. Oktober 1758 in Gehrden getraut wurden. Der Kirchenbucheintrag über diese Trauung nennt als Herkunftsort für ihn Steinhude und für sie das Gehrdener Gut Franzburg. Berufsangaben fehlen. Dies ist die erste Nennung des Namens Knölke in den Gehrdener Kirchenbüchern.

Das Paar nahm Wohnung und Aufenthalt in Gehrden und gründete dort die Leinenmanufaktur, in die auch die beiden ältesten Söhne einstiegen und sie nach dem Tode des Vaters 1789 gemeinsam fortführten, wobei der jüngere der beiden Brüder gleichzeitig einen Vollmeierhof bewirtschaftete. Dies ergibt sich aus folgendem. Der Gründer der Gehrdener Leinenmanufaktur wird im Traueintrag für seine Tochter Elisabeth Louise im Dezember 1787 erstmals mit dem Prädikat "Hoflieferant" genannt. Sein zweitältester Sohn Heinrich Friedrich Gottlieb Ferdinand hatte im Februar desselben Jahres geheiratet und wird im Kirchenbuch als "Vollmeier und Drellfabrikant" bezeichnet. Als der älteste Sohn Just Hermann Diedrich Ludwig 1795 heiratete, wurde er wie vorher sein Vater ebenfalls als Hoflieferant aufgeführt.

Der jüngere der beiden Brüder Knölke starb 1796 im Alter von 34 Jahren. Der ältere Bruder Just Hermann Diedrich Ludwig Knölke führte die Manufaktur offenbar allein weiter. Während seiner Abwesenheit wurden zumindest die dringendsten Geschäftsangelegenheiten vom Advokaten Thielen erledigt. Das erklärt, warum im Mai 1803 das Memorial zur Befreiung der Leinenweber von der Rekrutierung durch den Advokaten Thielen unterschrieben wurde.

Just Hermann Diedrich Ludwig Knölke starb 1836. Ob sein Sohn Christian Heinrich Wilhelm Ludwig Knölke den Betrieb erst zu diesem Zeitpunkt oder bereits früher übernommen hat, ließ sich nicht klären. Bei seiner Heirat im Jahre 1833 wurde er als Bürger und Höfeling im Kirchenbuch vermerkt. Ein Hinweis auf den Manufakturbetrieb fehlt ebenso wie das Prädikat "Hoflieferant". Beides kann als Indiz dafür gewertet werden, daß der wirtschaftliche Niedergang des Betriebes bereits 1833 voll eingesetzt hatte.

Wann die Manufaktur die Arbeit einstellte, kann relativ genau eingegrenzt werden. Die Kämmereiregister des Fleckens Gehrden weisen in den darin enthaltenen Jahrestafeln der Bürger und Einwohner bis 1838 stets einen Fabrikanten aus, in den Folgejahren nicht mehr. Da die Leinenmanufaktur Knölke in der ersten Hälfte des 19. Jh. der einzige Fabrikationsbetrieb in Gehrden war, läßt sich daraus ableiten, daß der Betrieb um 1838 seine Pforten für immer schloß. Diese Annahme wird gestützt durch die Tatsache, daß Fr. von Reden 1839 in einer Aufzählung der Leinenmanufakturen im hannoverschen Raum den Knölkeschen Betrieb überhaupt nicht erwähnt.

Christian Heinrich Wilhelm Ludwig Knölke widmete sich in seinem weiteren Gehrden. Anlage 2 zeigt ein Foto von ihm und seiner Frau.

Das Fabrikationsgebäude der Gehrdener Leinenmanufaktur stand auf dem Grundstück Steinweg 19. Es wurde zuletzt als Wohnhaus genutzt und um 1960 abgerissen. An seiner Stelle befindet sich heute das Wohn- und Geschäftshaus Steinweg 17/19.  Anlage 3 zeigt ein Foto des Gebäudes, in dem die Gehrdener Leinenmanufaktur einst gearbeitet hat. Bei den Gehrdener Einwohnern war das Gebäude unter der Bezeichnung „Poppenburg“ bekannt. 
Was bedeuet der Ausdruck „Poppenburg“? Schriftlich ist darüber nichts überliefert. Wir sind auf Vermutungen angewiesen. Dabei dürfen wir nicht von heutigen Definitionen ausgehen. Als „Burg“ wurden im Gegensatz zu den üblichen Fachwerkbauten gemeinhin solche Gebäude bezeichnet, die in Backsteinbauweise errichtet waren. Bei der Poppenburg bestand zumindest die Straßenfront aus Backstein. „Poppen“ steht nach dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1898 (Nachdruck dtv 1984: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd.13, S. 2001 f.) für „schnell und oft nacheinander schwach klopfen“. Das trifft sicher für die Arbeitsgeräusche der acht Webstühle zu, die in dem Gebäude betrieben wurden, und vermutlich auch außerhalb des Hauses zu hören waren. Beides, die Arbeitsgeräusche der Webstühle und die Backsteinfront des Bauwerks, mag in der Folge zu der Bezeichnung „Poppenburg“ geführt haben.

Die Jahresproduktion der Knölkeschen Leinenmanufaktur hatte nach Patje im Jahre 1796 einen Wert von "vielen tausend Reichstalern". Diese Aussage ließ sich leider nicht konkretisieren, weil sich keine Quelle fand, die dazu genauere Angaben liefert. Daher war es nicht möglich, die Entwicklung der Produktion über die Jahre und Jahrzehnte des Bestehens der Manufaktur darzustellen. Somit konnte auch keine Relation hergestellt werden zwischen der Produktion eines Jahres, woraus man eventuell den Gewinn hätte ableiten können, und dem vermuteten Verlust von 2000 Reichstalern im Falle der Rekrutierung der Leinenweber.

Schlußbetrachtung

Der vom Advokaten Thielen in seinem Memorial vom 25. Mai 1803 vermutete Ruin der Leinenmanufaktur Knölke in Gehrden ist damals nicht eingetreten. Der Betrieb bestand noch mehrere Jahrzehnte bis etwa 1838. Wurde also dem Gesuch entsprochen? Martina Grohmann schreibt: "Erstaunlicherweise wurde darauf Rücksicht genommen und die Gesellen der Gehrdener Manufaktur blieben von der Rekrutierung verschont". 

Diese Aussage ist nicht belegt. Eine Quellenangabe fehlt ebenso wie eine Erklärung, worauf sich diese Darstellung gründet. In den Akten des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs Hannover findet sich kein Hinweis auf eine Entscheidung in dieser Richtung. Auch in der Literatur konnten keine Ausführungen dazu gefunden werden.

Auf Anfrage teilte die Verfasserin mit, daß es sich bei ihrer Aussage um eine Schlußfolgerung handelt. Sie habe unterstellt, daß die Leinenmanufaktur  Knölke bei Rekrutierung der acht namentlich genannten Leinenweber im Jahre 1803 ihren Betrieb hätte einstellen müssen. Da die Manufaktur noch mehrere Jahrzehnte ohne Unterbrechung existierte, schloß sie daraus, daß der Antrag vom 25. Mai 1803 genehmigt worden sei. Soweit Martina Grohmann.

Diese Schlußfolgerung ist nicht zwingend. Wie in der Einleitung dargestellt, erging am 16. und 24. Mai 1803 der Befehl zur Auflistung der wehrfähigen Männer. Die Zusammenstellung dieser Namensverzeichnisse war zeitraubend und in einigen Fällen auch Ende Mai noch nicht abgeschlossen. Erst anhand dieser Listen konnten die Rekrutierungsoffiziere mit der Aushebung der Männer beginnen.

England erklärte Frankreich am 18. Mai 1803 den Krieg. Am 26. Mai überschritten die Franzosen die deutschholländische Grenze und drangen in die Grafschaft Bentheim ein, während man  in Hannover gerade erst mit der Rekrutierung begann. Die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens wurde von Tag zu Tag deutlicher. Am 31. Mai wurden die Rekrutierungsoffiziere angewiesen, die Aushebung einzustellen. Ohne daß es zu nennenswerten Kampfhandlungen gekommen war, mußte sich die hannoversche Armee am 3. Juni 1803 in der als Schmach empfundenen Konvention von Sulingen verpflichten, sich hinter die Elbe zurückzuziehen und in dem Krieg zwischen England und Frankreich nicht gegen die Franzosen zu kämpfen. Außerdem mußte die im Hannoverschen stationierte französische Besatzungsarmee vom Kurfürstentum unterhalten werden.

Aus vorstehendem ergibt sich, daß es aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Entscheidung über das Gesuch für die Knölkeschen Leinenweber gar nicht mehr kam, weil dieses Memorial durch die schnelle Beendigung der Rekrutierung einfach gegenstandslos wurde. Dies erklärt auch das Fehlen jeglicher Hinweise auf eine Beschlußfassung zu diesem und allen gleichgelagerten Anträgen. So konnte die Arbeit der Leinenmanufaktur Knölke in Gehrden unterbrechungsfrei weitergehen, wenn auch der Absatz der Ware durch die nun stärker werdenden äußeren Einflüsse schwieriger wurde.

Die Zukunft des Kurfürstentums Hannover sah düster aus. Preußen wäre wohl bereit gewesen, zugunsten Hannovers einzuschreiten, verlangte dafür aber von England Zugeständnisse auf anderen Gebieten. Die Verhandlungen scheiterten, und so konnten die Franzosen ungehindert in das Kurfürstentum einmarschieren. England und Preußen hatten Hannover gleichsam seinem Schicksal überlassen.


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