Gasthaus „Zur Klappe“ in Gehrden

Neuer Straße Nr. 6

1803 bis 1997

 

Die Besitzer/Nutzer des Gebäudes bzw. der Hofstelle lassen sich zurückverfolge bis 1803.

Dieter Mahlert und Rainer Piesch haben sich mit der Geschichte dieser Hofstelle, später Gaststätte beschäftigt.

 

Dieter Mahlert schreibt:

Neben dem Hischen Hus steht ein Gebäude, das einer „Rübenburg“ ähnelt. Bei näherer Betrachtung fällt allerdings auf, dass es sich eigentlich um ein Fachwerkhaus handelt, dem nur zur Neuen Straße hin eine Backsteinfassade vorgesetzt wurde. Diese Fassade enthält aber viele Elemente, die für die sog. Rübenburgen typisch sind.

In diesem Gebäude (Neue Straße 6) befand sich ehemals die Gaststätte „Zur Klappe“.

 

Kleine Baustilkunde

Rübenburgen nannte man die meist um 1900 gebauten – und oft als protzig empfundenen – Häuser von Bauern, die durch den Anbau von Zuckerrüben zu einem gewissen Wohlstand gekommen waren. Dieses Haus wurde 1908 gebaut.

Neben den mehr oder minder aufwendig gestalteten, sich optisch vom Wirtschaftstrakt lösenden Wohnteilen sind verstärkt freistehende Wohnhäuser zu registrieren. Fast immer handelt es sich auch bei diesen um zweigeschossig traufständige Wohnhäuser in Ziegelbauweise.

 

Typisch für diesen Baustil sind Zierelemente wie Zwerchgiebel, Säulen, Balkone, Freisitze, repräsentative Treppenaufgänge, prächtige Eingangsbereiche, gedrechselte Giebelzierden, Fenstereinrahmungen aus Zementstuck oder Friese aus Terrakotta.

Auch bei diesem Gebäude sind viele dieser Elemente zu finden.

Dank eines zweischaligen Mauerwerks mit Isolierschicht waren die Räume besser isoliert und konnten höher und heller sein. Im Inneren setzte sich der Wohlstand fort: Zweistöckige Eingangshallen mit aufwändigen Treppenanlagen, Kochherde, Terrazzoböden, Fußbodenfliesen, Kachelöfen oder Wasserklosetts erinnerten eher an städtische Gründerzeit-Villen als an Bauernhäuser.

Woher stammte das Geld für den Bau dieser aufwendigen Wohngebäude?

Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Befreiung der Bauern von ihren Abgaben, z.B. dem "Zehnten". Etwa zur selben Zeit teilten sie das gemeinsam genutzte Land (= die Allmende) untereinander auf (= Gemeinheitsteilung).

Später kamen neue Düngemittel auf den Markt: zunächst Guano und Chilesalpeter aus Südamerika, ab 1870 Mineraldünger wie Kalisalz oder Thomasmehl, Nebenprodukte der Salz- bzw. Eisengewinnung. Der Gießener Chemiker Justus von Liebig hatte zuvor die Wirkungsweise des sog Kunstdüngers erkannt (Agriculturchemie, 1840).

Aktienzuckerfabriken wurden gegründet, in denen die Aktionäre häufig die Bauern selbst waren (siehe: Zuckerfabrik Neuwerk, 1857). Die Landwirte verdienten nicht nur am Rüben-, sondern auch am Zuckerverkauf. Weil sich das Blatt der Rübe als hervorragendes Futtermittel erwies, konnten sie außerdem mehr Kühe halten. Kein Wunder also, dass sich die Anbaufläche von Zuckerrüben stetig vergrößerte - und viele Bauern zu einem gewissen Wohlstand kamen.

Auch ein Außer-Haus-Verkauf durch eine Öffnung (= Klappe) neben dem Eingang zur Gaststätte war möglich – daher der Name des Lokals.

 

 

Rainer Piesch schreibt:

Wie es sich für ein gutes landwirtschaftliches Umfeld gehört, benötigt man dort auch eine anständige Brennerei. In unserem üppigen Anbaugebiet von Getreide gründete August Sewig im Jahr 1832 in Gehrden eine Brennerei für Korn, Kirschlikör und diverse andere Spirituosen. Der Branntwein wurde außer in Flaschen auch „lose“ außer Haus verkauft. Mittels geeichter Zinngefäße für ¼ l, ½ l und 1 l wurde der Alkohol vom Inneren des Hauses in der Neuen Straße Nr. 6 durch eine Klappe nach Außen zum „Mitnehmen“ verkauft. Folgerichtig erhielt die Gastwirtschaft den Namen „Klappe“. Heute erinnert noch der „Klappenweg“ an diese Gaststätte.

Aber nicht nur Branntwein, sondern auch viele andere Kolonialwaren wurden angeboten. So standen auch Tabakwaren, Flaschenbier, Süßigkeiten und einiges mehr hinter der Glasscheiben-Klappe zu Verkauf. Für Kinder waren die Glasbehälter mit den losen Bonbons, Leckmuscheln oder Lakritzschnecken, die auch einzeln verkauft wurden, eine große Verlockung.

Am Vormittag trafen sich hier unter anderem die Gehrdener Handwerksmeister zum kurzen Frühschoppen. Gehrdener Neuigkeiten wurden ausgetauscht und nebenbei auch das mitgebrachte Frühstücksbrot verzehrt. Auch Landwirte aus den kleinen Betrieben trafen sich hier, wenn es die knappe Zeit erlaubte. Die Kleingärtner kamen ebenfalls gern.

Gegen Abend kehrten Bergleute zum Dämmerschoppen ein, die in den Kaliwerken Albert in Ronnenberg oder Hansa in Empelde arbeiteten. In der Neuen Straße wohnten mehrere Bergmänner. Bei ihnen hieß die Klappe „Sole sieben“. An ihrem Arbeitsplatz gab es offenbar sechs Tiefensolen, die „Klappe“ war somit die Ergänzung als „Sole sieben“.

Nicht zu vergessen: Besonders an den Wochenenden kamen Bauern mit Pferd und Wagen aus den Ortschaften. In mitgebrachten Korbflaschen in diversen Größen wurde gebrannter Korn auf Vorrat gekauft. Das Probieren der Ware, in Verbindung mit Tönnchen-Bier (0,1 Liter), gehörte natürlich dazu.


Besitzer/Nutzer des Gebäudes in der Neuen Str. 6:

1803 Garbe, Conrad

1809 Block, Meister, Kötner

1822 Block, Heinrich, Halbhöfeling

1834 Schrader, Gastwirt [Conrad, gest. vor 1822, Bürger und Dachdecker Gehrden]

1838 Sewig, Christoph, aus Pattensen [oo1822 mit Anna Sophie Eleonore Schrader]

1852 Sewig, Brenner

1859 Conrad Sewig und Christoph Sewig in zwei Häusern

1869 Conrad Sewig, Brenner und Bauer

1891 Conrad Sewig, Gastwirt

1907 August Sewig, Brenner

1914 Sewig, Landwirt

1937 August Sewig

1953 Rolf Sewig

ca. 1965 – 1974 Gerd Fröhlich

1978 Heinz Kafke (Schließung der Klappe)

1981 Bistro Engelchen

1983 italienisches Restaurant „Melodie“ (bis 1997)


letzter Betreiber: verpachtet an NN. Fröhlich


So berichtet der Alt-Gehrdener August Nöthel:

„In unserem Holzschrank stand immer eine Buddel mit Korn (so genannter „Kutscherschluck“ mit 28 % oder 33 % Alkohol), die wurde jeden Tag bei der Kornbrennerei Sewig für 66 Pfennige aufgefüllt. Die Pulle wurde in drei Teile eingeteilt, das erste Drittel, wenn Großvater von der Arbeit kam, dann nach dem Abendbrot, der Rest, wenn er abends vom Garten kam und auf der Bank vor dem Haus gesessen hatte und Klönschnack hielt. Wenn mein Bruder Henri oder ich den Schnaps holen mussten, bekamen wir meist von Oma Sewig eine Schokoladenzigarette geschenkt.“

(Lebenserinnerungen von August Nöthel, Jahrgang 1902, aufgezeichnet von Fred Ebeling 1997)

Natürlich gab es für die geistigen Getränke, die einen ausgezeichneten Ruf hatten, in der Gehrdener Bevölkerung auch einen humoristischen Spruch: „Trinkst Du Schluck von Sewig, lebst Du ewig!“

Am 14. November 1997 hielt dann ein dramatisches Großfeuer in der Neuen Straße 6 die Gehrdener Feuerwehr und die Bevölkerung in Atem. Gegen 14 Uhr war das dreistöckige Haus in Brand geraten, in dessen Erdgeschoss sich das Restaurant „Melodie“ befand. Augenzeugen berichteten, dass das Gebäude innerhalb von Minuten lichterloh gebrannt habe und die Flammen meterhoch aus dem Haus schossen. Von den elf Bewohnern zogen sich sieben Personen Rauchvergiftungen zu. Das Unglück erinnerte damals einem Katastrophenfilm. Da das Feuer im geschlossenen Restaurant im Erdgeschoss ausbrach, war den Bewohnern in den beiden Stockwerken darüber der Fluchtweg über die Treppe versperrt. Der damalige stellvertretende Bürgermeister Ernst Mittendorf, der in unmittelbarer Nähe des Restaurants wohnte, berichtete, dass die Gäste der benachbarten Gaststätte „Hischen Hus“ die eingeschlossenen Menschen aus den Flammen retteten. „Irgendjemand wusste, wo sich eine Leiter befindet und hat sie dann an die Vorderseite der Hauswand gestellt.“, berichtete Mittendorf. Über die Leiter seien dann die Familienmitglieder aus dem Fenster der ersten Etage in Freie geklettert. Der Rest der Bewohner flüchtete über ein Nachbardach auf der Rückseite im Hof. Als das erste Fahrzeug der Gehrdener Feuerwehr am Brandort eintraf, brannte das Haus bereits auf allen Etagen. Wegen der immensen Größe des Feuers wurden auch die Feuerwehr Ronnenberg mit ihrer Drehleiter und die Ortswehren Leveste und Everloh alarmiert. 60 Feuerwehrleute waren mit insgesamt zehn Fahrzeugen vor Ort. Als die Hilfskräfte eintrafen, mussten sie davon ausgehen, dass sich eventuell noch Personen in dem damals 99 Jahre alten Haus befinden. Ein normales Reinkommen war nicht möglich, man gelangte mittels der Drehleiter über einen Balkon im hinteren Bereich in das Gebäude und suchte dann die obere Wohnung nach Personen ab, die sich glücklicherweise alle bereits außerhalb des Gebäudes aufhielten. Die weitere Brandbekämpfung stellte sich aufgrund des Alters des Gebäudes als äußerst schwierig dar. Erst drei Stunden später konnten die ersten Einsatzkräfte abrücken. Die Brandwache konnte erst am Nachmittag des folgenden Tages abgezogen werden. Als Brandursache wurde ein technischer Defekt angenommen


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